Viele Fahrzeughersteller, darunter Daimler und Volkswagen, benutzen so genannte „Thermofenster“, was bedeutet, dass die Abgasreinigung nur in einem bestimmten Temperaturbereich (ca. 15 bis 25 Grad Celsius) vollständig funktioniert und darüber und darunter gedrosselt, reduziert oder teilweise „abgeschaltet“ wird. Bei einer Außentemperatur von beispielsweise +7 Grad Celsius beträgt die Reinigungsrate dann nur noch etwa 50 bis 60 %, was zu einer Überschreitung der zulässigen Stickoxid-Werte um das bis zu Achtfache führen kann.
Rechtsanwälte Dr. Späth & Partner, Berlin, halten diese Funktion bereits seit Jahren für rechtswidrig, denn eine temperaturabhängige Reduzierung der Schadstoffreinigung stellt nach unserer Auffassung eine unzulässige Abschalteinrichtung nach Art. 5 Abs. 2 VO (EG) 715/2007 dar – vergleichbar mit der „Schummelsoftware“ im Dieselskandal Volkswagen. Die Gerichte wollten sich hierzu zunächst nicht positionieren oder zogen sich auf den Standpunkt zurück, das Kraftfahrt-Bundesamt würde solche Thermofenster nicht monieren.
Diese Rechtsprechungspraxis scheint sich nun langsam zugunsten der Fahrzeughalter zu ändern. Zunächst stellte das Oberlandesgericht Stuttgart (Az. 10 U 134/19, Urteil vom 30.07.2019) fest, dass diese Thermofenster durchaus als Abschalteinrichtungen zu verstehen sind, aber ausnahmsweise zulässig sein können. Dem stellen sich die 23., 30. und 46. Kammer des Landgerichts Stuttgart entgegen: nach richtiger Auffassung sind Thermofenster nicht nur Abschalteinrichtungen, sondern auch unzulässige Abschalteinrichtungen, denn nicht zuletzt der Bundesgerichtshof selbst hatte in seinem Beschluss vom 08.01.2019 (Az. VIII ZR 225/17) darauf hingewiesen, dass Ausnahmetatbestände äußerst eng auszulegen sind.
Die 30. Kammer betont in ihrem Urteil vom 29.08.2019 (Az. 30 O 12/19):
„Hierunter fällt aber von vornherein nicht eine solche Konstruktion von Fahrzeug und Emissionskontrollsystem, bei der die Abschalteinrichtung so integriert ist, dass sie, wenn auch nur in bestimmten Temperaturbereichen, fester Bestandteil derselben ist und damit zumindest teilweise zum Normalbetrieb gehört.“
Auch das Landgericht Düsseldorf ist nun der Meinung, dass Thermofenster rechtswidrig sind. Dort ging es um Software-Updates der Volkswagen AG für den „Schummelmotor“ EA 189. Nach der Entscheidung des Gerichts vom 31.07.2019 (Az. 7 O 166/18) ist das Fahrzeug auch nach Durchführung des Software-Updates mangelhaft. Begründung: Das Software-Update beinhaltet ein „Thermofenster“, das nach Ansicht des Gerichts unzulässig ist. Volkswagen hatte in dem Verfahren eingeräumt, dass die Abgasrückführung vollständig nur in einem Temperaturbereich zwischen +15 und +30 Grad Celsius funktioniert und unter +15 Grad Celsius reduziert oder teilweise abgeschaltet werde. Das Volkswagen-Update ist also eine „Mogelpackung“ oder „Schönwetteranlage“.
Soweit sich sowohl Volkswagen als auch Daimler auf notwendige Funktionen zum Motorschutz berufen, zitiert das ARD-Magazin „Kontraste“ in seiner Ausgabe vom 5. September 2019 Herrn Prof. Kai Borgeest (Zentrum für Verbrennungsmotoren Aschaffenburg): Der Versottungseffekt sei durch technische Maßnahmen vermeidbar, z.B. durch eine bessere Isolierung des AGR-Systems. Wörtlich: „Das Temperaturfenster ist ein reines Kostenargument, man kann auch die Fenster wesentlich breiter fassen oder sogar ganz darauf verzichten, das ist ausschließlich eine Frage des Geldes und nicht der technischen Machbarkeit.“
Zutreffend weist das Landgericht Düsseldorf darauf hin, dass nicht das Kraftfahrt-Bundesamt abschließend darüber entscheidet, ob technische Funktionen der europäischen Verordnung entsprechen, sondern deutsche Gerichte. Tatsächlich hatte das Kraftfahrt-Bundesamt die Thermofenster offenbar „durchgewunken“ (was im Haus Volkswagen mit den Worten „Hallelujah, ich gebe einen aus!“ kommentiert worden sein soll). Man mag, wie die “Deutsche Umwelthilfe”, das Kraftfahrt-Bundesamt nicht für eine unabhängige Behörde halten, sondern für den verlängerten Arm der Autoindustrie, man mag das aber auch anders sehen – gleichwohl ist es Sache der Gerichte, darüber zu entscheiden, ob Thermofenster zulässig sind oder nicht. Es ist auch Aufgabe der unabhängigen Gerichtsbarkeit, Behörden-Entscheidungen zu überprüfen.
Daraus folgt für Verfahren gegen Volkswagen, Audi oder Daimler, dass jede andere Feststellung als die, dass die von den Herstellern verwendeten Thermofenster unzulässige Abschalteinrichtungen darstellen, falsch wäre. Weiterhin begründet die Entscheidung der Hersteller, den millionenfachen Rechtsverstoß ihrer technischen Lösungen aus Kostengründen in Kauf zu nehmen, obwohl es einfache, rechtlich saubere, aber eben teurere Lösungsmöglichkeit gibt, unserer Auffassung nach die sittenwidrige Täuschung der Käufer und letztlich eine Schadensersatzpflicht der Hersteller.
Betroffene Käufer sollten die Vorwürfe zum Anlass nehmen, Schadensersatzklagen gegen Hersteller einzureichen und die Rückabwicklung der Kaufverträge zu beanspruchen. Rechtsanwälte Dr. Späth & Partner, Berlin, können kompetent und schnell helfen und bieten die notwendige Prozesserfahrung gegen die Autoindustrie. Unsere Kanzlei ist eine der ersten Kanzleien bundesweit, die ein Urteil gegen Daimler erwirken konnte (LG Flensburg, Az. 3 O 48/18, Urteil vom 18.04.2019).